Tomas Bächli und Petra Ronner zu zweit an einem Klavier (www.vierhaende.ch)
In herkömmlich tonaler Musik erzeugt Dissonanz Spannung, deren Auflösung in eine Konsonanz Entspannung. In den verschiedenen Musiken in unserem Programm manifestieren sich Spannung und Entspannung in den unterschiedlichsten Parametern. Der Norm wird die Ausnahme entgegengestellt; der Hörerwartung die Überraschung.
Eintritt frei/Spenden erlaubt
Programm
Matthias Bruppacher (1948) Rondo (2020) für Klavier vierhändig
Heinz Holliger (1939) gespi(ge)lt – gesun/d/gen (2015)
Franz Liszt (1811-1886) Der, welcher wandert R352a (1875/81?) aus der Oper „Die Zauberflöte“ von W. A. Mozart
Erika Radermacher (1936) Alle Uhren, selbst die trägsten (1981/83)
Erik Satie (1866-1925) En Habit de Cheval (1911)
Annette Schmucki (1968) verschränken (2022)
James Tenney (1934-2006) Chorales (1973) for harmonic piano four hands
Katharina Weber (1958) Eine Lesung der Márta Ligatur von György Kurtág (2024) Uraufführung
About
Tomas Bächli studierte Klavier bei Werner Bärtschi. Er lebt seit 1999 als Klavierlehrer und Konzertpianist in Berlin. Er experimentiert mit neuen Konzertformen auf der Suche nach einer Vermittlung, die sowohl der Musik als auch dem Publikum gerecht wird. In Berlin nimmt er verschiedene Impulse auf, nicht nur von Musikern, sondern auch von Schauspielern und Malern. Zugleich realisiert er Ideen zu eigenen Themen. 2016 erschien sein Buch "Ich heiße Erik Satie wie alle anderen auch" im Verbrecher Verlag Berlin. Gemeinsam mit der Sängerin Eva Nievergelt erhielt er 2021 das Werkjahr Interpretation der Stadt Zürich.
Petra Ronner studierte Klavier bei Werner Bärtschi. Konzerttätigkeit als Pianistin mit vorwiegend zeitgenössischer Musik. Soundtrack, Montage und Komposition im Kontext von Literatur, Theater, bildender Kunst und Architektur. Mitarbeit in Veranstalterkollektiven, unterschiedliche Funktionen als Musikerin in interdisziplinären Teams und kontinuierliche Arbeit in kleinen Besetzungen: als “band” mit Annette Schmucki Improvisation, Konzepte und Installationen mit Sampler und Stimme. Im Funklochtrio mit Lara Stanic und Sebastian Hofmann im Konzertformat Funkloch on Air.
Die Stücke
Sind die Pausen zwischen den einzelnen Klangfragmenten in Matthias Bruppachers Konzeptstück Rondo Zeit für Entspannung oder ungeduldiges, angespanntes Warten auf das Kommende? Im Bruppachers Komposition sind die Ausführenden angewiesen, die Länge der klingenden Formteile exakt abzusprechen, die Länge der Pausen gemeinsam intuitiv zu gestalten.
Erik Satie komponiert nach dem Collagenprinzip, dem Zusammensetzen von kleinen Formteilen. Gestus und Metrik der Musik ändern abrupt und übergangslos. Dies bewirkt eine reizvolle Anspannung zwischen den Anforderungen der Gattung «Fuge» und ihrer nonchalanten Realisierung. Saties Zyklus „en habit du cheval“ fehlt alles Meisterhafte und Feierliche. Die in sich ruhende Fugue Litanique und die polkaähnliche Fugue en papier wirken unakademisch und lebendig, obschon der Komponist gerade eben sein Kontrapunktstudium an der Schola cantorum in Paris abgeschlossen hatte.
Die Titel der 11 Phantasien „Alle Uhren, selbst die trägsten...“ (1981/83) von Erika Radermacher sind Zitate aus «Fantasiestücke nach Callots Manier» von E.T.A. Hoffmann. Der Text regte seinerzeit Robert Schumann zur Komposition der Kreisleriana an, eines Zyklus, den Erika Radermacher als Pianistin häufig aufgeführt hat. Dennoch sind in ihrer Komposition keine Anspielungen auf Schumann festzustellen. Dafür wird in der achten Fantasie der Rhythmus von Wagners Ouvertüre der Meistersinger zitiert. Dessen heroischer Gestus steht im Kontrast zu den Tonhönen der Melodie, die ganz nüchtern aus den Buchstaben des Textes abgeleitet wurden. Die elf Phantasien sind belebt von Spannung zwischen Kompositionsweisen, die Ausführenden wie Zuhörenden rätselhaft bleiben, und dem plötzlichen Auftauchen von bekannten Metaphern wie dem Seufzermotiv in Nr.1 „Ach“, die tonale Harmonisierung in Nr.4 oder das Fortissimo furioso für das bleiche Gespenst im Finale Nr.11.
In den komplexen Akkorden des Chorales (1973) von James Tenney kann die Harmonik lediglich als Sound wahrgenommen werden. Ein sich wiederholender Rhythmus, der an einen grotesk verlangsamten Ragtime erinnert, treibt die Akkordkette zunächst in die Höhe und dann wieder zurück zur Grundposition. Zu hören sind Klangfarben, die durch Rückungen der Tonhöhe, aber auch Änderungen der Akkordstruktur (die auch immer zu Änderungen des Obertonspektrums führen) minimal variieren. Die Spannung liegt hier bei der diffizilen Wahrnehmung der Klangfarbe und ihrer Veränderung in einer vordergründig monoton wirkenden Klanglandschaft.
Heinz Holliger hat gespi(ge)lt – gesun/d/gen 2015 für das Ehepaar Kurtág geschrieben. Er verwendet als konstruktive Mittel Umkehrung, Spiegelung und Vergrößerung, wie sie in der Barockmusik wirksam sind. Zwei spiegelbildliche Stimmenpaare bewegen sich in zwei verschiedenen Tempi, scheinbar unkoordiniert, jedoch streng konstruiert. Häufige Stimmenkreuzungen erwecken den Eindruck eines Dickichts, durch das sich die Ausführenden eng verschlungen hindurchtasten.
Der Gesang der Geharnischten aus Mozarts Zauberflöte in der Transkription von Franz Liszt baut auf Spannung und Entspannung durch Dissonanzen und ihre Auflösung. Mozart schafft ein dichtes Gewebe von Motiven, die in verschiedenen Tempi unterschiedliche Wirkung erzeugen. Die schnellen Folgen klingen wie Seufzer (wie Erika Radermachers «Ach!»), die langsamen Vorhalte der Choralmelodie unterstreichen den feierlichen, rethorischen Charakter des Gesangs. Mozart komponiert der Form nach «alte» Musik mit Mitteln des Barock.
«Der, welcher wandert diese Strasse voll Beschwerden, / Wird rein durch Feuer, Wasser, Luft und Erden; / Wenn er des Todes Schrecken überwinden kann, / Schwingt er sich aus der Erde Himmel an. - Erleuchtet wird er dann im Stande seyn, / Sich den Mysterien der Isis ganz zu weih'n.» (Emanuel Schikaneder)
Katharina Weber verwendet für Eine Lesung der Márta Ligatur von György Kurtág (2024) Zitate aus Kurtágs Klavierwerken. Dazu die Komponistin: „Bei seiner (Kurtàgs) Musik kommt es ja sehr oft vor, dass er z.B. versteckte Oktaven komponiert, aber eben nicht ganz: entweder grosse Septen oder kleine Nonen, also immer eine unaufgelöste Spannung da ist, auch zwischen verschiedenen Tonalitäten, die gleichzeitig vorhanden sind.“
Die Intervalle, und Akkorde von Kurtàg werden von Katharina Weber zeitlich ausgebreitet, die Zuhörenden haben Gelegenheit, das Gewohnte aber auch das Befremdliche der harmonischen Fortschreitungen wahrzunehmen. Die Verteilung auf zwei Spieler bietet Möglichkeit der grösseren Differenzierung, erfordert aber auch extreme Konzentration auf die Koordination.
Im vierhändigen Klavierstück verschränken (2022) von Annette Schmucki werden Wörter und Töne, Sprachklänge und Klavierklänge kombiniert. Über den Zusammenhang zwischen den beiden Ebenen kann nur gerätselt werden. Spannung und Entspannung ergeben sich aus verschiedenen Arten des Hörens – Sprachbedeutung und abstrakter Klang – und aus Wiederholungen, die selten exakt gleich ausfallen. Einladung zum Fusswippen oder Hamsterrad?
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