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  • Antje Thierbach | Tobias Krebs: SCHILF – Ried - Reed - Rohr – RHIZOM

Antje Thierbach | Oboe
Tobias Krebs | Gitarre

Schilf, das Motto des Konzertes, erweckt sicherlich zunächst vielfältige, zumeist idyllische, Assoziationen. Das weitverzweigte Wurzelwerk der Pflanzen, das Rhizom. weckt demgegenüber ganz andere Assoziationen. So griffen Anfang der 1970er Jahre Gilles Deleuze und Félix Guattari das Bild dieser Strukturen als Metapher auf und entwickelten das philosophische Konzept der Rhizomatik und gaben damit wesentliche Impulse u. a. für Wissenschaftstheorie, Medienphilosophie und Kulturwissenschaften. Die Programmatik des Abends greift die vielfältigen Assoziations­möglichkeiten des Schlfs in einigen Aspekten auf.

Programm

Tobias Krebs
Schilf (2019)
Oboe und Gitarre, UA

Tobias Krebs
Ricercare (2015/18)
Gitarre solo

Hans-Joachim Hespos
Dissipative Gesänge (2016)
Oboe d‘amore und singende Säge

Andreas Staffel
Treibgut II (2016/19)
Oboe und Gitarre

Eintritt frei (Spenden erwünscht)

Schilf, Motto des Konzertes, erweckt im Leser/Hörer sicherlich zunächst eine idyllische Assoziation. Röhricht umfriedet Seen. Im flachen Wasser bietet es vielen Tierarten Schutz und Lebensraum. Die biegsamen Pflanzen sind fast immer mehr oder weniger stark miteinander in harmonischer Bewegung. Auch die Oboe, das Wind-Instrument, ist landläufig mit einem liedhaften Charakter assoziiert, die Gitarre mit dem Klischee der Lagerfeuerromantik.
Eine besondere Art des Schilfrohrs, das Pfahlrohr, Arundo Donax, ist essentiell für die Oboe. Aus ihm werden die kurzlebigen Rohrblätter gefertigt, mit denen die Schwingung und damit der Ton erzeugt wird. Allgemein viel weniger im Blickfeld ist das Wurzelwerk der Pflanzen, Rhizom. Als weitläufiges Sprossachsensystem liegt es dicht unter dem Boden, einerseits wachsen einzelne Sprosse bis zu 3 cm am Tag, andererseits sind 6000 Jahre alte intakte Systeme gefunden worden.

Anfang der 1970er Jahre griffen Gilles Deleuze und Félix Guattari das Bild dieser Strukturen als Metapher auf und entwickelten das philosophische Konzept der Rhizomatik. Sie gaben damit wesentliche Impulse u. a. für Wissenschaftstheorie, Medienphilosophie und Kulturwissenschaften. Es ersetzt das traditionelle Ordnungsmodell des „Baum des Wissens“, welches auf die Antike zurückgeht und hierarchisch strukturiert ist, grenzt sich aber auch gegen die Metapher des Netzes ab. Kurz gesagt meint Rhizomatik die Befreiung von definierten Machtstrukturen, viele Perspektiven und viele Ansätze können frei verkettet werden. Übertragen auf die heutige Musikkultur bedeutet das beispielsweise, dass Grenzen u.a. zwischen E- und U-, instrumentaler und elektronischer, Klassik und Neuer Musik verwischen, zu hierarchischen Strukturen von Opernhäusern, Orchestern etc. Alternativen entstehen, Produktion und Reproduktion (Komponist versus Interpret) wieder näher zusammenrücken.

Die Programmatik des Abends greift die beschriebenen vielfältigen Assoziationsmöglichkeiten zu „Schilf“ in einigen Aspekten auf. So geht das Instrumentarium auf Instrumente der Antike, Aulos und Kithara, zurück und alle Stücke sind von bzw. für die Interpreten in enger Zusammenarbeit mit den Komponisten entstanden.

Zu den Kompositionen

Schilf von Tobias Krebs setzt eine Reihe von Kompositionen fort, die sich mit verschiedensten Materialen (im Sinne von „Werkstoffen“ / „Rohstoffen“) befassen. Die dabei entstehende Musik weist sowohl auf einer handwerklichen, als auch auf einer assoziativen und metaphorischen Ebene Gemeinsamkeiten mit dem Material auf.

Treibgut II von Andreas Staffel: Das Duo wurde 2016 für Oboe und Akkordeon komponiert und 2020 für Oboe und Gitarre neu arrangiert. Die Komposition bezieht sich auf den Beginn des dritten Aktes der Oper Tristan von Richard Wagner. Teile dieser „alten Weise“ sind bruchstückartig über das ganze Stück verteilt. Wie Treibgut im Wasser werden Klänge „herangeschwemmt“ und verdichten sich zu Mehrklängen der Oboe und vollgriffigen Akkorden der Gitarre. Das Material verändert und verdichtet sich zu stetig neuen Formen und Gestalten. Es folgen furiose Cluster- und Multiphonic-Kaskaden. Nach und nach verschwinden die Klänge in der Ferne. Wir vernehmen nur noch einzelne Splitter eines Terzmotivs, die allmählich verebben.

Dem Gitarrensolo Ricercare liegt eine spezielle Skordatur (d.h. Verstimmung der Saiten) zu Grunde, welche der amerikanische Komponist und Instrumentenbauer Harry Partch (1901 – 1974) erfunden hat. Diese Stimmung basiert auf einer sogenannten Untertonreihe, nämlich der Inversion der bekannten Obertonreihe (Naturtonreihe). Harry Partch hat diese Untertonreihe u.a. auf einer seiner selbstgebauten „Kitharas“ verwendet. In der griechischen Mythologie wurde die Kithara von Hermes erfunden, laut der Sage aus Schildkrötenpanzer und Rindergedärmen.
Ein weiterer zentraler Baustein des Stückes ist die musikalische Verwendung eines Bleistifts. Mit Hilfe des Bleistifts entsteht aus der 6-saitigen Gitarre eine quasi 12-saitige Gitarre, aufgeteilt in rechte und linke Seite. Sowohl die Kithara-Skordatur als auch der Bleistift-Steg lassen die traditionelle Stimmung der Gitarre in weite Ferne rücken.
Diese „weite Ferne“ war der Ausgangspunkt für meine Entdeckungsreise, auf welcher es mir möglich war, die Gitarre nochmals von Grund auf neu zu erforschen. Im Titel „Ricercare“ (ital. suchen) widerspiegelt sich u. a. das Suchen und Erkunden dieser neuen Möglichkeiten.
Kurz: mit Hilfe einer untertönigen Kithara-Stimmung und einem Bleistift, wird die „traditionelle“ Stimmung der Gitarre verschleiert. Daraus entsteht eine stark mikrotonal geprägte Harmonik.

Dissipative Gesänge für Oboe d‘amore, Barockoboe d‘amore und singende Säge von Hans-Joachim Hespos verbindet sehr originell die 3 Instrumente, die wohl so aus ihren äußerst diversen Kontexten vorher noch nicht zusammengeführt wurden.
Dissipation, Zerstreuung, bezeichnet in der Physik, z.b. in der Wellenlehre für Thermodynamik und Akustik, irreversible Energieumwandlungsprozesse durch etwa Reibung, Drosselung oder Stoss, also Grundtechniken instrumentalen Spiels. Es entsteht thermische oder innere Energie. Aber es entsteht natürlich auch Klang, und unbestritten transportiert der artikulierte Klang innere Energie auf beispielsweise intellektuelle, emotionale und poetische Ebenen. Möglicherweise gibt der Komponist durch die Wahl der Oboe d’amore (historisch und modern) einen zusätzlichen Verweis, und die singende Säge ist augenzwinkernd Teil dieses sehr speziellen Minnesangs.

Antje Thierbach

Antje Thierbach, geboren 1970, wuchs in Ostberlin auf und studierte 1988 bis 1997 in Leipzig, Würzburg und Berlin moderne Oboe, 2003 bis 2005 historische Aufführungspraxis und historische Oboen bei Katharina Arfken an der Schola Cantorum Basilensis in der Schweiz. Schwerpunkt ihrer Konzerttätigkeit liegt neben der Zusammenarbeit mit renommierten Orchestern wie dem Konzerthausorchester Berlin, Deutsche Oper , DSO, RSB u.a. im Bereich Zeitgenössischer Musik. Regelmäßig arbeitet sie mit dem Ensemble Modern, Klangforum Wien, KNM Berlin, Zafraan, Meitar Tel Aviv, Phoenix Basel u. a.

Die intensive Auseinandersetzung mit ihrem Instrument, besonders im Bezug auf Neue Spieltechniken, und die Arbeit mit verschiedenen Komponisten an der Umsetzung und Notation musikalischer Ideen speziell für die Oboe, führte sie konsequenter Weise dazu, Musik früherer Epochen ebenfalls auf dem jeweils zeitgenössischem Instrumentarium zu erforschen.
Sie konzertiert im Bereich historischer Aufführungspraxis u.a. mit Akamus, FBO, der Lattencompagney, Kammerorchester Basel, Concerto Brandenburg u. v. a. m.

Ein weiterer Teil ihrer künstlerischen Arbeit ist die szenisch/theatrale Arbeit in verschiedenen Konstellationen mit Tänzern und Schauspielern wie Sasha Waltz und Guest, mit Christoph Marthaler und bei eigenen Projekten.

Um ihr Interesse an der Zusammenführung Alter und Neuer Musik in Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Musikern und Komponisten effektiver umsetzen zu können initiierte sie die Gründung des Ensembles ARIS & AULIS , eines Ensembles auf historischen Instrumenten, dass sich sowohl der historischen Aufführungspraxis als auch der Vermittlung aktueller Musik widmet. Die Leit-Idee der "Musik als Klangrede" des großen Pioniers historischer Aufführungspraxis, Nikolaus Harnoncourts, verfolgend, ist dabei Kommunikation das zentrale Thema: Kommunikation mit den musikalischen Partnern, mit dem Publikum, was vor allem die sorgfältige Präsentation im Raum und Auswahl passender Konzertformate für die jeweiligen Inhalte bedeutet, aber auch innerhalb der Gruppe, musikalisch und bei der Herstellung kultureller Kontexte für die Partituren aus verschiedenen Epochen.

Seit 2011 unterrichtet sie Historische Aufführungspraxis und Barockoboe sowie Neue Spieltechniken auf der Oboe an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin.

Tobias Krebs

Tobias Krebs, geboren 1993 in Zürich, ist ein Schweizer Komponist und klassischer Gitarrist. Von 2012-2017 studierte er an der Hochschule für Musik Basel bei Michel Roth (Komposition) und bei Stephan Schmidt (klassische Gitarre) und schloss in beiden Hauptfächern mit Auszeichnung ab. Zurzeit setzt er seine Studien am Det Jyske Musikkonservatorium in Aarhus (DK) fort, mit Fokus auf der Interpretation zeitgenössischer Musik.
Seine Werke wurden von namhaften Ensembles und Interpreten im In- und Ausland aufgeführt, so z. B. vom Zürcher Kammerorchester, ensemble recherche, ensemble proton bern, Calvino Trio, Gyre Ensemble, Ensemble Phoenix Basel und vom klassischen Gitarristen Pablo Márquez. Kürzlich wurde er Preisträger des vom Ensemble Phoenix Basel ausgeschriebenen “Trabant” Wettbewerbs.
Neben seinem regen Interesse an der Aufführung zeitgenössischer Musik spielt er auch regelmässig Konzerte mit “traditioneller” klassischer Musik von Renaissance bis zur Neuzeit.

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